HERAUSFORDERUNGEN AN FÜHRUNG IN ZEITEN DER DIGITALISIERUNG

Ein Gastbeitrag von:
Dr. Ursula Grooterhorst, Rechtsanwältin, Mediatorin und Coach, Düsseldorf

GERMAN COUNCIL Magazin,
GCM, Ausgabe 01/2021, Seite 72-73

Der Alltag von Führungskräften hat sich durch die Corona-Pandemie zwangsläufig verändert. Das ist auch auf die verstärkte Digitalisierung zurückzuführen, die neue Herausforderungen und Aufgaben mit sich bringt. Wer sich bewusst macht, dass diese Veränderungen auch Auswirkungen auf die Unternehmensführung haben, ist auf dem richtigen Weg.

Es ist davon auszugehen, dass Digitalisierung einerseits technische Veränderungen bei den Arbeitsabläufen hervorruft (1.) und sich andererseits die Beziehung zwischen den Führungskräften untereinander sowie diejenige zum Management und zu den Mitarbeitern verändert (2.). Wenn also über Führung in Zeiten der Digitalisierung gesprochen wird, so müssen sich die Führungskräfte vergegenwärtigen, welchen der vorgenannten Aspekte sie in den Blick nehmen wollen, nämlich die technischen Veränderungen durch die Digitalisierung oder die Veränderung der Beziehungen der Menschen im Unternehmen.

Digitalisierung führt zu einer Veränderung und Weiterentwicklung technischer Arbeitsabläufe.

Soweit es bei der Digitalisierung um eine Veränderung und Weiterentwicklung technischer Arbeitsabläufe geht, so erfordern diese das dafür notwendige technische Rüstzeug sowie Information und Weiterbildung der Mitarbeiter. Aufgabe der Führungskräfte ist es an dieser Stelle, dafür zu sorgen, dass den Mitarbeitern nicht nur die neue Technik zur Verfügung gestellt wird, sondern dass diese auch befähigt werden, diese Technik anwenden zu können. Während dieses Technisierungsprozesses müssen Führungskräfte verstärkt Sorge dafür tragen, dass die neue Technik zu neuen verbesserten Arbeitsabläufen führt. Dieser »Change« betreffend das »Gelingen der Integration veränderter Technik in die Arbeitsabläufe« muss proaktiv im interaktiven Austausch mit den Mitarbeitern fortlaufend kommuniziert werden.

Digitalisierung führt zu einer Veränderung der Beziehungen der Menschen im Unternehmen zueinander.

Schwieriger als der Umstand, technische Veränderungen infolge der Digitalisierung umzusetzen, gestaltet sich die Aufgabe der Führungspersönlichkeiten, die bisher durch die persönliche Begegnung erzeugte Beziehungsqualität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern aufrechtzuerhalten.

Digitalisierung bedingt einen Mangel an Wirkungen persönlicher Begegnung.

Die Digitalisierung verändert nicht lediglich die vorhandenen technischen Arbeitsabläufe, sondern in essenzieller Weise auch die persönlichen Beziehungen der Menschen im Unternehmen untereinander. Das betrifft zunächst das Verhältnis der Führungskräfte zum Management, in gleicher Weise aber auch dasjenige der Führungskräfte zu den Mitarbeitern. Diese Veränderung der Beziehungen beruht auf der stark reduzierten Möglichkeit zur persönlichen Begegnung. Wenn man davon ausgeht, dass die persönliche Begegnung wichtig ist und besondere Wirkungen hervorruft, die grundlegend andersartig sind als die bloße Begegnung auf dem digitalen Weg, dann folgt daraus, dass die Digitalisierung einen Mangel hervorruft. Es ist das Fehlen der Wirkungen, welche ansonsten die persönliche Begegnung erzeugt.

Persönliche Begegnung erfüllt das Bedürfnis aller Stakeholder, den Anderen nicht nur als Arbeitspartner, sondern auch als Menschen zu erfassen.

Begegnung erfüllt Bedürfnisse, die nicht einfach wegfallen, indem ein Arbeitsprozess digitalisiert wird. Das Unternehmen muss also mit dem Mangel an Begegnung offen umgehen, damit den durch Begegnung bisher erfüllten persönlichen Bedürfnissen nach Nähe auch in Zukunft Rechnung getragen werden kann. Wenn beispielsweise bei digitalen Vorstellungsrunden nunmehr auch Wert darauf gelegt wird, diese auch ein wenig auf das Private auszudehnen, dann kann diese Maßnahme etwas ersetzen, was bisher die persönliche Begegnung sicherstellte. Es ist der Versuch, Nähe zu gewinnen, um den Anderen nicht nur als Partner im Arbeitsprozess, sondern auch als Menschen zu erfassen und zu erleben.

Erst ein offener Umgang mit dem Mangel an Begegnung und den dadurch nicht erfüllten Bedürfnissen von Arbeitgeber und Arbeitnehmern ermöglicht es, den Interessen aller auch in der digitalen Arbeitswelt gerecht zu werden.

Ein offener Umgang mit dem Mangel an Begegnung bedeutet für Führungskräfte, die Bedürfnisse des Arbeitsgebers sowie der Mitarbeiter, denen durch persönliche Begegnung Rechnung getragen wird, gemeinsam zu thematisieren, zu eruieren und zu formulieren. Daran erst können sich Überlegungen anschließen, auf welche Weise bei Wegfall der persönlichen Begegnung angesichts der verstärkten Digitalisierung die Bedürfnisse weiterhin erfüllt werden können.

Eine Anerkennung der Unterschiedlichkeit der Bedürfnisse von Arbeitgeber und Arbeitnehmern erweckt Verständnis für die in der digitalisierten Arbeitswelt zu treffenden neuen Maßnahmen zum Ausgleich der Interessen.

Unter Einbindung der Mitarbeiter (in Workshops) sind die Bedürfnisse sowohl des Arbeitgebers als auch der Mitarbeiter aufzubereiten und gegenseitig zu kommunizieren. Auf diese Art und Weise kann das Unternehmen mithilfe seiner Führungskräfte gegenseitiges Verständnis dafür wecken, dass Digitalisierung neue Maßnahmen für den Umgang im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern erfordert. Dazu müssen sich Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer erneut bewusst machen, dass sie unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen haben, die auch schon vor der Digitalisierung existierten und die in der persönlichen Begegnung transportiert und reibungslos ausgeglichen werden konnten. Beispielweise muss der Arbeitgeber sich im Verhältnis zu den Mitarbeitern auch im Rahmen der digitalen Begegnung bemühen, durch ein gutes onboarding und durch sonstige Maßnahmen der Mitarbeiterbindung und -motivation die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen zu stärken und nicht die Mitarbeiter in der nunmehr rein digitalen Weg sich selbst zu überlassen. Neue Kommunikationsregeln sollten gemeinsam erarbeitet werden.

»Vertrauen« schaffende Maßnahmen des Arbeitgebers durch mehr Kommunikation, mehr Empathie, stärkere Wahrnehmung des Anderen und durch einen erhöhten zeitlichen Einsatz der Führungskräfte dafür sind notwendig.

Aber auch andere Maßnahmen des Arbeitgebers, wie zum Beispiel häufigeres Feedback, direkte Ansprache, Leistungskontrollen etc., sind im Rahmen digitaler Arbeitsprozesse notwendig, um den Unternehmenszweck zu erfüllen. Solche Maßnahmen können bei den Arbeitnehmern Misstrauen erzeugen, wenn sie nicht in persönlicher Begegnung geschehen. Es ist also bei dem neuen Umgang miteinander auf digitalem Weg verstärkt darauf hinzuwirken, dass Vertrauen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern weiterhin entstehen kann. Dazu bedarf es mehr Kommunikation, mehr Empathie, mehr Wahrnehmung des Anderen und eines erhöhten Zeitaufwandes seitens der Führungskräfte hierfür, der bisher nicht notwendig war.

Digitalisierung erschwert zwischenmenschliche Beziehungen. Ein »werteorientiertes« Führungsverhalten wird daher wichtiger, um Sinn zu vermitteln.

Werte sind Maßstäbe, an denen wir unser Handeln ausrichten, damit unsere Wirklichkeit sich zum Besseren verändert. Da gelebte Werte unsere Wirklichkeit auch im Unternehmen bestimmen und damit unsere Gesellschaft prägen, wird es unter dem Aspekt der Digitalisierung und der dadurch reduzierten zwischenmenschlichen Beziehungen umso notwendiger, auf Werte im Unternehmen zu achten. Wenn also Veränderungen im Unternehmen aufgrund der Digitalisierung vorgenommen werden, so ist bei allen Führungsmaßnahmen immer wieder zu berücksichtigen, welchen Werten sich ein Unternehmen verschreiben will. Welche Werte dies sein sollen, muss ein jedes Unternehmen für sich thematisieren. Das Management und die Führungskräfte müssen sich bewusst machen, dass Unternehmenskultur und Unternehmenswerte digital schwer zu transportieren sind. Wie können Führungskräfte ihre Vorbildfunktion auch digital sichtbar machen? Wie kann Fehlerkultur digital gelebt werden? Wie kann bei Führungskräften/ Arbeitnehmern nicht nur das Wir-Gefühl im Unternehmen, sondern auch das Ich-Gefühl des Einzelnen gestärkt werden, um den Unternehmensauftrag gemeinsam mit anderen erfüllen zu können? Ist nur das Unternehmen für Sinngebung verantwortlich oder sind es auch alle im Unternehmen Tätigen? Wie kann eine wertebewusste Haltung bei Führungskräften gefördert werden? Mit diesen Fragestellungen muss ein Unternehmen sich verstärkt befassen, wenn die Digitalisierung nicht dazu führen soll, dass die bisher für das Unternehmen geltenden Werte aufgrund veränderter technischer Situation auf einmal weniger Berücksichtigung finden. Folgemaßnahmen des Unternehmens, die wegen veränderter Arbeitsbedingungen aufgrund von Digitalisierung getroffen werden, müssen seitens der Führungskräfte immer auch im Abgleich mit den Unternehmenswerten erfolgen. Erst dann wird ein »werteorientiertes« Führungsverhalten gewahrt, das nicht einzelfallbezogen und willkürlich, sondern von Sinn getragen ist und dadurch den Mitarbeitern Sinn vermittelt.


Ein Gastbeitrag von: Dr. Ursula Grooterhorst, Rechtsanwältin, Mediatorin und Coach, Düsseldorf

GERMAN COUNCIL Magazin,
GCM, Ausgabe 01/2021, Seite 72-73

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